Vortrag von Marion Hölczl im Rahmen des kbo-Symposiums „Integrierte akutpsychiatrische Behandlung: Neue Wege in Fürstenfeldbruck“ am 9. Juli 2019
Mein Name ist Marion Hölczl, ich spreche in meiner Funktion als Ex-In-Mitarbeiterin des psychiatrischen Klinikums Fürstenfeldbruck; seit 1. Oktober 2018 bin ich hier auf der Einheit Krise und Psychotherapie tätig – vorausgegangen war meiner Anstellung ein 120 stündiges Praktikum auf derselben Einheit.
Ich möchte zunächst die Gelegenheit nutzen, bevor ich meine Erwartungen/Wünschen an das Klinikum formuliere, Ihnen etwas über mich persönlich und „meine Wege in der Psychiatrie“ zu erzählen. Zunächst zu ExI-n: Mein Berufsbild/meine Berufsgruppe ist relativ jung – noch nicht mal im pubertären Alter. Gerade Mal vor 12 Jahren wurde die Qualifizierungsmaßnahme sprich: ein Curriculum dafür namens Ex-In aus der Taufe gehoben; hervorgegangen aus einem dreijährigen europäischen Pilotprojekt namens „Leonardo da Vinci“, unter deutscher Leitung.
Miteinander diskutiert und gemeinsam entwickelt haben dabei von 2005 bis 2007 psychiatrische Fachkräfte, Forscher*innen/Wissenschaftler*innen/Lehrkräfte sowie sog. Psychiatrie-Erfahrene aus 7 europäischen Ländern.
Die Idee und das Ziel dahinter: Psychiatrieerfahrenen Menschen mittels einer strukturierten Qualifizierungsmöglichkeit einen anerkannten Status und eine angemessene Anstellung zu geben und – vor allem – deren Erfahrungen und Erkenntnisse für die Weiterentwicklung und Verbesserung von psychiatrischer Versorgung und Dienste nutzbar zu machen. Ex-In steht abgekürzt für Englisch experienced-involvement und bedeutet Expertin aus Erfahrung/Beteiligung Psychiatrieerfahrener.
So stehe ich hier und heute vor Ihnen als Ex-In-Genesungsbegleiterin, so die offizielle Bezeichnung, die sich hierzulande durchgesetzt hat. Es ist also eine besondere – und durchaus unkonventionelle – Art von Expertentum, das sich aus meinen eigenen persönlichen Erfahrungen und daraus gewonnenen Erkenntnissen mit psychischen Problemen/Krankheiten/Krisen und deren Bewältigung speist.
Die Ex-In-Qualifizierungsmaßnahme befähigt, nicht nur die individuelle Erfahrung mit seelischer Krankheit und existentieller Krise zu reflektieren und mit anderen auszutauschen, sondern die eigenen Erfahrungen wiederum anhand der Erfahrungen anderer neu zu bemessen und zu reflektieren.
So wird Ich-Wissen zu Wir-Wissen und psychische Prozesse und Erfahrungen können sowohl auf der individuellen wie der kollektiven Ebene verstanden werden.
Soweit zu Ex-In-Genesungsbegleitung. Verzeihen Sie mir bitte meinen Exkurs, aber ich nutze gerne jede Gelegenheit meinen „Berufsstand“ bekannter und verstehbarer zu machen. Und so wie ich – eine ehemalige Patientin der kbo – sind einige meiner Ex-In-Kolleg*innen und ebenfalls frühere Patient*innen in die kbo arbeitend zurückgekehrt.
Da muss also das Isar-Amper-Klinikum bereits vieles gut und richtig machen, wenn ihre ehemaligen Patient*innen unbedingt hier arbeiten wollen!
Nun zu meiner eigenen Psychiatrieerfahrung – gewissermaßen mein “Unique Selling Point“ – und Grundvoraussetzung dafür, überhaupt als Ex-In arbeiten zu können: Bis zu meinem 50. Lebensjahr hatte ich keine lebensbedrohenden psychischen Krisen und somit auch keine psychiatrisch-stationären Aufenthalte.
Ein Krankenhaus, geschweige denn eine Psychiatrie, hatte ich bis dato nie zuvor vom Krankenbett aus gesehen. Als „pumperlgsund“ hätte ich mich damals beschrieben und mit beiden Beinen ziemlich fest im Leben stehend – andere aus meinem Umfeld haben das sicherlich genauso gesehen.
Herbst 2014 hat sich dann mein seelisches Befinden erst schleichend über Monate hin verändert, und dann schlagartig, als ich eines Morgens nicht mehr aus dem Bett wollte und erstmals Suizidgedanken hatte. Meine Lebensgefährtin, wir sind jetzt seit 24 Jahren zusammen, hat an jenem Tag gemeinsam mit unserer Hausärztin die Reißleine gezogen. Sofortige Aufnahme in der kbo in Haar, fachliche Diagnose „Schwere depressive Störung“; eigene Diagnose, oder besser eigenes Empfinden: starke Persönlichkeitsveränderung: „Ich erkenne mich nicht wieder“/“Ich bin eine andere“ verbunden mit massivem Scham- und Schuldgefühl, in der Psychiatrie gelandet zu sein.
Deshalb: So schnell wie ich drin war, so schnell wollte ich wieder raus. Auf eigenen Wunsch hin wurde ich nach vier Wochen entlassen. Und habe dann vieles dafür getan, diese vier Wochen zu verdrängen bzw. sie als „einmaligen Ausrutscher“ in meiner Biografie zu begreifen. 2016 kam dann alles noch viel schlimmer. Aufnahme in der kbo in Haar; starke depressiv-suizidale Gradwanderung über Monate; insgesamt 106 Tage Aufenthalt, anschließend 8 Wochen psychosomatische Klinik Windach.
Und jetzt zum Happy End dieser Geschichte: Ich habe das Ganze nicht nur überlebt, sondern mit lebensnotwendigen und gesundheitsfördernden Einsichten durchlebt. Aufgrund verschiedener Menschen und Umstände – allen voran jene Menschen, die von Berufs wegen in der Psychiatrie/Psychosomatik arbeiten und denen ich bei meinem Weg durch die Krise immer wieder begegnet bin – und denen ich viel zu verdanken habe.
Nein, ich spreche nicht von allen und jedem, aber von einigen. Welche Einstellungen, welche Eigenschaften, welche Fähigkeiten, welche Besonderheiten haben diese für mich herausragenden Menschen und was macht sie für mich so wertvoll? Sie waren mir freundliche, zugewandte, wohlwollende, respektvolle, werteorientierte, fürsorgliche, zuhörende, stützende, begleitende, kommunikative, verstehende, am ganzen Menschen interessierte, erklärende, zuverlässige, kompetente, wissende, erfahrene, verständnisvolle, vertrauensvolle, humorvolle, höfliche, wertschätzende, einfühlsame, lächelnde, nicht urteilende, sich für mich Zeit nehmende, mich ernst nehmende, mich achtsam und achtend behandelnde, mich an meine Fähigkeiten und Stärken erinnernde, mich motivierende, an mich glaubende, mir Hoffnung gebende, mir Wege aufzeigende Menschen, die glücklicherweise ihrer Arbeit in der Psychiatrie/ Psychosomatik nachgehen und die mir helfend und begleitend zur Seite standen. Und mir aus meiner Dunkelheit namens „Depression“ herausgeholfen haben.
Soweit über mich und meine Erfahrungen/Entwicklungen – und jetzt konkret zu meinen Erwartungen/Wünschen:
+++Patient*innen in seelischen Krisen brauchen in besonders hohem Maße individuelle und intensive Gesprächsmöglichkeiten. Das Wichtigste vielleicht überhaupt in der Psychiatrie: Gespräche! Vor allem mit den Ärzt*innen/Psychotherapeut*innen/SozialpädagogInnen, aber auch – und das wird vielleicht unterschätzt – mit den Pfleger*innen.
Gerade die Pfeger*innen haben den meisten und direkten Kontakt zu den Patient*innen und sie/also die vielköpfige Pflege bildet einen bunten Querschnitt der Bevölkerung ab.
Mitunter können sich Patient*innen sogar eher Pfleger*innen gegenüber öffnen, Vertrauen fassen, eine Beziehung aufbauen. Aber oft scheint mir die Zeit zu fehlen, weil die Pfleger*innen nicht mehr aus dem Dokumentieren herauskommen – oder mit anderen Diensten beschäftigt sind. Es sollte mehr Zeit für individuelle Gespräche/sowie eher „non-verbale“ Aktivitäten sein. Und um Zeit zu schaffen, sollte z.B. die Art und Weise der Dokumentationspflicht (Stichwort „Dokumentationszwang“) überdacht werden.
+++Patient*innen sollte noch mehr Mitsprache eingeräumt werden, sie sollen Wünsche äußern dürfen – u.a. in Hinblick auf Tagesablauf/ Therapie/Wahl der Ärzt*in, Psycholog*in, Form der Visite/des Verlaufsgesprächs (Stichwort: Anzahl der Personen im Raum/4-Augen-Gespräch);
Patient*innen muss von Anfang an vermittelt werden, dass ihr Feedback, also ihre Wünsche/Ideen/Vorschläge/Verbesserungen/Kritik unbedingt erwünscht ist, sowohl während wie nach der Behandlung.
++Ich wünsche mir einen Feedback-Fragebogen für jede/n Patient*in und 1 Bezugsperson aus Familie/Freunde nach jedem Aufenthalt. Warum? Ich bin der festen Überzeugung, dass alle/oder zumindest die meisten Patient*innen zu Expert*innen ihrer Erkrankung werden und wichtige Erfahrungen/ Erkenntnisse weitergeben können, ebenso deren Partner/Angehörige/Freunde.
+++Ich wünsche mir die Möglichkeit zu einem offen wie beschütztem Umgang mit psychischen Belastungen und Erkrankungen betroffener Mitarbeiter*innen der kbo.
+++Ich wünsche mir, dass Ex-Inler in Supervisionen/Fallbesprechungen/ Fortbildungen insofern miteinbezogen werden, dass sie über ihre eigenen Diagnosen/Krankheitsbilder vor den Profis sprechen können. Grundsätzlich würde ich mir weitere ExIn-Kolleg*innen in Ffb und auch in Haar wünschen. Zudem eine zentrale fachlich-professionelle Begleitung für ExIn seitens der kbo und ein regelmäßiger moderierter Austausch der ExIn-Genesungsbegleiter*innen untereinander, aber auch seitens Klinik-u. Geschäftsleitung, Ärzt*innen/Pflege. Unsere Erfahrungen und unsere Erkenntnisse könnten damit besser nutzbar gemacht werden.
+++Und nicht nur am Rande – Stichwort Wertschätzung: Wir arbeiten bislang als geringfügig Beschäftigte etwa 7 Stunden die Woche auf Minijob-Basis. Ich wünsche mir die Wahlmöglichkeit, auch Teilzeit oder Vollzeit arbeiten zu können und eine andere Eingruppierung jenseits von Hilfskraft Stufe 3.
Die Tätigkeit/Wirksamkeit als Ex-In auf einer psychiatrischen Einheit/Station kann sich nicht nur meiner Meinung nach erst ab einer höheren Stundenzahl voll entfalten.
+++Ich wünsche mir bei der kbo einen Focus auf LGBT = heißt Lesben, Schwule, Transgender (sowohl in Bezug auf die Mitarbeiter*innen wie auch die Patient*innen), bis hin zu einer Gründung eines kbo-Netzwerkes.
+++Ich wünsche mir einen sensibilisierten Umgang mit geschlechtergerechter Sprache bei allem Schriftlichem (Mails, Briefe, Formulare, Broschüren, Handouts) sowie im mündlichen/täglichen Umgang miteinander. Und an alle, die jetzt – wenn auch innerlich – die Augen verdrehen: Das darf ruhig spielerisch von statten gehen und ohne Holzhammer.
Aber mir geht es um ein wachsendes Bewusstsein und um Sensibilisierung im Umgang mit Sprache und Geschlecht.
+++And last but not least: Ich wünsche mir von der kbo, dass die Notwendigkeit einer Gleichstellungsbeauftragten erkannt und Gleichberechtigung und Diversität aktiv umgesetzt wird, indem eine Gleichstellungs/Diversity/Beauftragte eingesetzt wird. Und ich bin nicht der Meinung, dass der/die Behindertenbeauftragte diesen Job gleich mit erledigen kann.
Vielen Dank für Ihr Zuhören und an die Verantwortlichen der kbo, dass ich hier und heute vortragen durfte.
(Marion Hölczl ist Absolventin des 4. Jahrgangs der Ex-In-Ausbildung in München. Sie arbeitet als Ex-In-Genesungsbegleiterin seit 1. Oktober 2018 im kbo Isar-Amper Klinikum Fürstenfeldbruck auf der Einheit Krise und Psychotherapie , wo sie bereits auch ihre 120 Praktikumsstunden geleistet hatte.)