Die Veranstaltung stieß auf reges Interesse, nicht zuletzt auch aufgrund der Beschlüsse des Bayerischen Bezirketages wie auch der Bezirke Oberbayern, Mittelfranken, Oberpfalz und Schwaben, ab 2015 als zusätzliches Angebot an SPDi eine EX-IN-Stelle pauschal mit 5.700 € Personal- und 1.000 € Sachkosten auszustatten.
Rund 40 professionell Tätige – vorwiegend aus oberbayerischen SPDi – und rund 20 EX-IN Kursbesucher* bzw. Absolventen kamen im Buchruckersaal der Inneren Mission München zusammen. Anwesend waren zudem alle drei Trainer des gegenwärtigen Münchner EX-IN Kurses.
Folgende Fragen an Berichterstatter und Diskussion brachten die Besucher mit:
- Welche gewinnbringenden Erfahrungen gibt es? Differenzierung SPDi, Tagestätte, BeWo?
- Finanzierungs-/Entlohnungsmodelle und Beschäftigungsverhältnisse?
- Rolle der EX-INler – Wie geht’s mit der Rollenfindung?
- Form der Kollegialität – Integration ins Team ?
- Supervision für EX-INler separat, zusätzlich und/oder mit Team?
Was müssen wir tun, damit es schief läuft? – diese Aufforderung zu kritischer Reflexion kam von Christel Achberger, Trainerin u.a. des Münchner Kurses.
Ein kurzer Überblick wurde vorab noch gegeben über Entwicklung und Stand von EX-IN allgemein und aktuell in Bayern, sowie über den Kurs und was er leistet.
Erfahrungsberichte der verschiedenen EX-IN Gespanne
Seit nunmehr 1,5 Jahren arbeiten EX-INler in verschiedenen Einrichtungen im Rahmen des EX-IN Projekts des Bezirks Oberbayern, sowie in der Sotería und an weiteren Stellen im kbo Isar Amper Klinikum.
Aus vier Diensten berichteten die dort beschäftigten EX-INler zusammen mit ihren professionell ausgebildeten Kollegen über ihre Erfahrungen.
Tagesstätte Unterschleißheim (A.S./K.K./A.M.) – (Mitschrift De Valerio)
„Besonderheit: hier arbeiten zwei Genesungsbegleiterinnen und Praktikanten.
Jeder habe Stärken und Schwächen, jeder EX-IN Mitarbeiter sei anders. Wenn ein Genesungsbegleiter selber noch Therapie macht oder zu einer Beratungsstelle geht, wirkt sich das günstig auf die Arbeit aus: Kritik ist eher möglich, weniger Beratung/Festigung der Person nötig, so die Erfahrung des Arbeitgebers.
Schwierig sei der Informationsaustausch bei nur 8 Wochenstunden, Integration, Mitentscheidungsmöglichkeit ist oft unmöglich für das Team und EX-INler. Es liege nicht an den Personen, wenn EX-INler z.B. nicht zur Teambesprechung können, weil der Termin sich nicht mit ihrer Arbeitszeit deckt. Das langsame Reinkommen in die Arbeit wegen der geringen Wochenstundenzahl werde aber auch positiv gesehen als gute Regenerationsmöglichkeit. Positiv auch die Bilanz der Aufteilung: EX-IN Mitarbeiterinnen bieten Einzelgespräche oder Gruppenangebote an. EX-IN werde immer wieder erklärt, da es auch andere Praktikanten (Sozialpädagogen) gäbe. Die Klienten würden schon unterscheiden zwischen Mitarbeitern und EX-IN Mitarbeitern. Doch auch im Team selber gebe es unterschiedliche Rollen. Gewünscht wird ein trialogischer Blick. Auf Nachfrage, wer in einer Krise entscheidet: Verantwortliche vom Team, die aber oft eine EX-IN Mitarbeiterin dazu holen.“
Münchner Bündnis gegen Depression – EX-IN Mitarbeiterin K.V.:
„Sie schätze ihre Arbeit als echte Stelle auf dem 1. Arbeitsmarkt, mit Büro- und Außenterminen. Sie habe für ihr eigenes Empowerment mitgesorgt, konnte immer eigenständiger werden, selber die Arbeitszeit anpassen nach längerer Phase des Kennenlernens. Umgehen mit eigenen Schwächen, Ängsten und Grenzen sei unabdingbar. Sie möchte ihre eigene Person, ihre Qualifikation und Wünsche in die Arbeit einbringen. Sie fragt sich: Was gefällt mir am meisten? Eine Schreibwerkstatt entwickeln. Welche Ziele habe ich? Feste Ansprechpartnerin für Stammtisch und Ehrenamtliche. Was kann ich besonders? Profi-Schulung als Betroffene im Tandem. Was will ich ausprobieren? Anträge schreiben, Computer, Organisation, Postversand. Neu sei das Beratungstelefon.
Probleme seien der häufige Personalwechsel und Missverständnisse bzw. mangelnde Information gewesen. Positiv wertet sie, dass man ihr häufig gesagt habe, sie sei gewollt. Als Fazit sieht sie sich im Team vollwertig angekommen.“
Stephanie Kramer, Geschäftsführerin des Münchner Bündnis gegen Depression e.V. (vormals Leiterin SPDI Neuhausen/Nymphenburg), in beiden Funktionen zuständig für die jeweilige EX-IN Stelle:
„warum ich es gut finde eine EX INlerin im Team zu haben:
im SPDI:
- Durch den Einsatz einer EX IN Genesungsbegleiterin ist es vermehrt gelungen unsere Angebote so zu gestalten, dass die Zugangshürden für die Inanspruchnahme herabgesetzt werden konnten.
- Durch eine Genesungsbegleiterin im Team haben alle Teammitglieder in den Fallbesprechungen mehr auf ihre Sprache in Bezug auf KlientInnen geachtet und auf damit verbundene Wertungen.
- Der EX IN Kraft ist es gelungen, KlientInnen zu erreichen bzw. Kontakt zu halten, zum Beispiel bei rezidivierender Psychose, zu denen das Team keinen Zugang bekommen hat bzw. wo Kontaktabbruch drohte.
- Bei misstrauischen KlientInnen konnte die EX IN Kraft oftmals eine Brücke schlagen zu den anderen Profi-Mitarbeitenden.
Beim Münchner Bündnis gegen Depression e.V.:
- Aufklärungs- und Informationsarbeit wird durch eine EX IN Kraft und deren Erfahrungswissen vervollständigt und authentischer. Zudem zeigen entsprechende wissenschaftliche Studien, dass durch die persönliche Begegnung mit einer Betroffenen nicht nur Wissen vermittelt wird, sondern Vorurteile dauerhaft reduziert bzw. abgebaut werden können.
- Die Genesungsbegleiterin weiß aus eigener Erfahrung, wo es noch Wissensvermittlung, Aufklärung und Information braucht.
- Schulungsteilnehmer haben die Möglichkeit direkt nachzufragen bei einer Betroffenen, was dieser geholfen hat bzw. rückblickend geholfen hätte.
- Betroffene, die zum Beispiel am Infostand oder am Telefon Kontakt zu uns suchen, tun sich oft leichter/fühlen sich besser verstanden, wenn das Gegenüber auch betroffen war – auch hier dir Funktion des Brückenschlags.
- Angebote von der EX IN Kraft für Betroffene (z.B. Schreibwerkstatt): die Gruppe hat ein gemeinsames Thema; Erfahrung der Erkrankung kann über das Medium Schreiben zum Ausdruck gebracht werden, dabei teilt die Gruppenleitung diese Erfahrung.“
Station des 58A des kbo-Isar-Amper-Klinikums München Ost (N.C./M.D.) – (Mitschrift De Valerio)
„Flexible Zeitfüllung erfolge in enger Absprache, nur z.T. sei die Genesungsbegleiterin bei Teamsitzungen dabei. Sie stellt ihre Arbeitsgebiete und sich selber zuerst vor, wartet dann ab, was mit Patienten möglich ist. Sie will nichts aufdrücken, sondern den Raum lassen, etwas entstehen zu lassen. Patienten brauchen Zeit zu erkennen, sie sind beschützt, dürfen sein, wie sie sind. Die Genesungsbegleiterin unterstützt beim Spazieren gehen, Zigaretten holen, geht mit auf die Bank, hilft alle normalen alltäglichen Dinge zu erledigen. Als Besonderheit wird sie angefragt als Türkisch-Übersetzerin. Das Team habe sie schnell integriert nach anfänglicher Neugier. Es gibt ihr Aufträge: Kümmere dich heute besonders um diesen Patienten etc. Die Übersetzerfähigkeit aufgrund ihres Migrationshintergrundes sei ein reiner Profit für das Team, besonders, wenn Patienten kaum Deutsch sprechen.
Auf Nachfrage, ob die EX-IN Mitarbeiterin die Krankenakte zu ihren Klienten lese: Sie bevorzugt es, mit den Menschen zu reden, selber zu schauen, Krankengeschichte würde sie eher beeinträchtigen. Der Perspektivwechsel gelingt, so auch die professionell ausgebildete Kollegin. Übersetzung von Nichtbetroffenem zu Betroffenem sei wichtig ist und die EX-IN Mitarbeiterin hier in Brückenfunktion.“
Tagesstätte / SPDi Ebersberg (R.R./M.H./D.M.) – (Mitschrift De Valerio)
„Fähigkeiten aus dem früheren Leben mitzunehmen, war der Genesungsbegleiterin wichtig, die hiermit eine Nähgruppe aufbaute, wo sich am Rande Gespräche entwickelten. Langsam gewachsen sei auch der Wunsch, jetzt aufzustocken. Der andere EX-IN Mitarbeiter hat eine EX-IN Gesprächsgruppe für Männer aufgebaut mit Themen wie Spiel- und Alkoholsucht. Neben Peer- und Einzelberatung entwickelte er eine Frauengruppe und als Weiterentwicklung ist die Arbeit mit Eltern und Kindern, vielleicht auch Paaren geplant. Der langsame Beginn habe gut getan und nachhaltiges Arbeiten ermöglicht.
Der Arbeitgeber hat besonders das Team auf EX-IN vorbereitet, indem EX-INler auf eine Klausurtagung eingeladen wurden. Es habe keine festgeschriebenen Konzepte gegeben, man habe sie mit den EX-IN lern entwickelt und möchte weiterhin flexibel bleiben. Während die EX-IN Angebote stattfinden, sei immer ein Hintergrunddienst da, falls eine Krise auftritt. Kollegiale Rücksprache sei immer möglich für den EX-IN Mitarbeiter. Jeder bringe anderes ein in die gemeinsame Arbeit in Einzelgesprächen, Gruppenarbeit, Öffentlichkeitsarbeit (workshops), Gremienarbeit, Schule, Internes wie Recovery für das Team, Beratung im Tandem“
EX-IN Beschäftigungsverhältnisse
Neuland für die Teams
Es handelt sich ja nicht einfach um „eine weitere“ Stelle bzw. „ein zusätzliches Budget“, sondern um ein anderes Beziehungsangebot, eine andere Rolle. Ein anderer Blick auf Prozesse und Maßnahmen kommt ins Team, neue Kollegen, deren spezifische Kompetenz in reflektierter Krankheits- und Recovery-Erfahrung besteht, eine kontinuierliche, personalisierte Aufforderung, die Perspektive zu wechseln bzw. die eigene zu hinterfragen.
Dies bedeutet einen Lernprozeß für die Teams, auch der Umgang mit entstehenden Verunsicherungen: entwertet das Erfahrungswissen das professionelle Wissen oder ergänzt es dieses? Wie können die verschiedenen Perspektiven eine Bereicherung werden für die Klienten aber auch für die Teammitglieder? Respektvolle, offene Kommunikationskultur, Innovationsfreude, Flexibilität, Mut und Geduld für Erprobung wie ausreichende Konfliktbereitschaft sind gefragt.
Neuland für die EX-INler
Antritt eines Praktikums bzw. einer EX-IN Stelle bedeutet die Bereitschaft, eine gewohnte Rolle als Nutzer zu verlassen, aus einer Nische bzw. aus einem bisherigen Schutzraum herauszutreten und mit zunehmender Erfahrung ein eigenes persönliches Profil weiterzuentwickeln.
Oft bedeutet es den Beginn eines Arbeitsverhältnisses nach längerer Beschäftigungslosigkeit bzw. manchmal auch erstmalige Aufnahme einer Berufstätigkeit, und die Gepflogenheiten der Arbeitswelt, Pflichten und Rechte und die speziellen Organisationsstrukturen sind vielleicht wenig vertraut. Auch das will gelernt sein.
Einige Schlussfolgerungen
EX-INler sind „Unikate“: aufgrund der jeweils sehr unterschiedlichen Erkrankungs- und Bewältigungsgeschichte sowie abweichenden beruflichen Vorqualifizierung weisen sie ganz heterogene Fähigkeiten, Ressourcen und Kenntnisse auf. Die gemeinsame Erarbeitung der Aufgaben mit dem EX-INler und ihre schrittweise Umsetzung und Ausweitung (Projektsteuerung) erweisen sich als zielführend.
Ein fester Ansprechpartner für den EX-INler im Team sowie Raum für regelmäßige Reviews und Feedbackrunden, Prozess- und Aufgabenanpassungen sind unabdingbar. Mehr als ein EX-INler im Dienst/-netz nimmt den „Exotendruck“, läßt die neue Rolle klarer hervortreten und erfahrbar werden und ermöglicht den EX-INlern intervisorischen Austausch.
Unabhängige Supervision für die EX-INler (z.B. 1.000 € Sachkostenauschale für EX-IN Stelle) sowie eine supervisorische Begleitung der professionell Tätigen im Umgang mit EX-INlern (z.B. Verärgerung über deren besonderen Klientenzugang, Angst vor Entwertung der eigenen Qualifikation, Vermeiden einseitigen Protegierens etc.) sind unerläßlich.
Ausblick weitere EX-IN Aktivitäten
- www.ex-in-by.de: diese Homepage bietet die Trialogische Arbeitsgemeinschaft EX-IN Bayern an als Plattform für
– Erfahrungsberichte,
– Terminankündigungen,
– Stellenbörse (Gebote/Gesuche) - EX-INler bemühen sich um die Einrichtung eines Stammtisches für Kursbesucher und Absolventen, Termine werden über den Veranstaltungskalender auf www.ex-in-by.de bekannt gegeben.
- 4. Mai 2015 Abschlussveranstaltung des EX-IN Projektes des Bezirks Oberbayern, 10:00 h-14:00 h, Konferenzsaal, Prinzeregentenstarsse 14
- Die Projektbeteiligten plädieren dafür, ein EX-IN Forum in Oberbayern für den Erfahrungsaustausch und für die weitere Begleitung und Entwicklung von EX-IN Beschäftigungen im Rahmen des Bezirks Oberbayern einzurichten und plädiert für eine dienst-unabhängige Supervision für EX-INler-Gruppen.
- EX-IN Fachtag, 20. Juni 2015: Die Akteure der Kurse München, Nürnberg, Regensburg und Kaufbeuren – unterstützt von der Hochschule München, Fachbereich Sozialpädagogik – bereiten dieses Forum für Information, Austausch und Vernetzung vor, Ankündigungsdetails immer aktuell auf www.ex-in-by.de
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* Soweit die männliche Form verwendet wird, geschieht dies einzig der leichteren Lesbarkeit halber