Erfahrungsberichte

März 2020

Die Genesungsbegleiterin – Wie eine ehemalige Patientin Menschen mit Depression hilft

radioReportage, Ausstrahlung am 23.3.2020 in BR2/BR5, von Veronika Wawatschek

https://www.br.de/mediathek/podcast/radioreportage/die-genesungsbegleiterin-wie-eine-ehemalige-patientin-menschen-mit-depression-hilft/1794280

Juli 2019

„Meine Wünsche an die Psychiatrie“ – aus der Perspektive einer ehemaligen Patientin und jetzigen Mitarbeiterin

Vortrag von Marion Hölczl im Rahmen des kbo-Symposiums „Integrierte akutpsychiatrische Behandlung: Neue Wege in Fürstenfeldbruck“ am 9. Juli 2019

Mein Name ist Marion Hölczl, ich spreche in meiner Funktion als Ex-In-Mitarbeiterin des psychiatrischen Klinikums Fürstenfeldbruck; seit 1. Oktober 2018 bin ich hier auf der Einheit Krise und Psychotherapie tätig – vorausgegangen war meiner Anstellung ein 120 stündiges Praktikum auf derselben Einheit.

Ich möchte zunächst die Gelegenheit nutzen, bevor ich meine Erwartungen/Wünschen an das Klinikum formuliere, Ihnen etwas über mich persönlich und „meine Wege in der Psychiatrie“ zu erzählen. Zunächst zu ExI-n: Mein Berufsbild/meine Berufsgruppe ist relativ jung – noch nicht mal im pubertären Alter. Gerade Mal vor 12 Jahren wurde die Qualifizierungsmaßnahme sprich: ein Curriculum dafür namens Ex-In aus der Taufe gehoben; hervorgegangen aus einem dreijährigen europäischen Pilotprojekt namens „Leonardo da Vinci“, unter deutscher Leitung.

Miteinander diskutiert und gemeinsam entwickelt haben dabei von 2005 bis 2007 psychiatrische Fachkräfte, Forscher*innen/Wissenschaftler*innen/Lehrkräfte sowie sog. Psychiatrie-Erfahrene aus 7 europäischen Ländern.

Die Idee und das Ziel dahinter: Psychiatrieerfahrenen Menschen mittels einer strukturierten Qualifizierungsmöglichkeit einen anerkannten Status und eine angemessene Anstellung zu geben und – vor allem – deren Erfahrungen und Erkenntnisse für die Weiterentwicklung und Verbesserung von psychiatrischer Versorgung und Dienste nutzbar zu machen. Ex-In steht abgekürzt für Englisch experienced-involvement und bedeutet Expertin aus Erfahrung/Beteiligung Psychiatrieerfahrener.

So stehe ich hier und heute vor Ihnen als Ex-In-Genesungsbegleiterin, so die offizielle Bezeichnung, die sich hierzulande durchgesetzt hat. Es ist also eine besondere ­– und durchaus unkonventionelle – Art von Expertentum, das sich aus meinen eigenen persönlichen Erfahrungen und daraus gewonnenen Erkenntnissen mit psychischen Problemen/Krankheiten/Krisen und deren Bewältigung speist.

Die Ex-In-Qualifizierungsmaßnahme befähigt, nicht nur die individuelle Erfahrung mit seelischer Krankheit und existentieller Krise zu reflektieren und mit anderen auszutauschen, sondern die eigenen Erfahrungen wiederum anhand der Erfahrungen anderer neu zu bemessen und zu reflektieren.

So wird Ich-Wissen zu Wir-Wissen und psychische Prozesse und Erfahrungen können sowohl auf der individuellen wie der kollektiven Ebene verstanden werden.

Soweit zu Ex-In-Genesungsbegleitung. Verzeihen Sie mir bitte meinen Exkurs, aber ich nutze gerne jede Gelegenheit meinen „Berufsstand“ bekannter und verstehbarer zu machen. Und so wie ich – eine ehemalige Patientin der kbo ­ – sind einige meiner Ex-In-Kolleg*innen und ebenfalls frühere Patient*innen in die kbo arbeitend zurückgekehrt.

Da muss also das Isar-Amper-Klinikum bereits vieles gut und richtig machen, wenn ihre ehemaligen Patient*innen unbedingt hier arbeiten wollen!

Nun zu meiner eigenen Psychiatrieerfahrung – gewissermaßen mein “Unique Selling Point“ – und Grundvoraussetzung dafür, überhaupt als Ex-In arbeiten zu können: Bis zu meinem 50. Lebensjahr hatte ich keine lebensbedrohenden psychischen Krisen und somit auch keine psychiatrisch-stationären Aufenthalte.

Ein Krankenhaus, geschweige denn eine Psychiatrie, hatte ich bis dato nie zuvor vom Krankenbett aus gesehen. Als „pumperlgsund“ hätte ich mich damals beschrieben und mit beiden Beinen ziemlich fest im Leben stehend – andere aus meinem Umfeld haben das sicherlich genauso gesehen.

Herbst 2014 hat sich dann mein seelisches Befinden erst schleichend über Monate hin verändert, und dann schlagartig, als ich eines Morgens nicht mehr aus dem Bett wollte und erstmals Suizidgedanken hatte. Meine Lebensgefährtin, wir sind jetzt seit 24 Jahren zusammen, hat an jenem Tag gemeinsam mit unserer Hausärztin die Reißleine gezogen. Sofortige Aufnahme in der kbo in Haar, fachliche Diagnose „Schwere depressive Störung“; eigene Diagnose, oder besser eigenes Empfinden: starke Persönlichkeitsveränderung: „Ich erkenne mich nicht wieder“/“Ich bin eine andere“ verbunden mit massivem Scham- und Schuldgefühl, in der Psychiatrie gelandet zu sein.

Deshalb: So schnell wie ich drin war, so schnell wollte ich wieder raus. Auf eigenen Wunsch hin wurde ich nach vier Wochen entlassen. Und habe dann vieles dafür getan, diese vier Wochen zu verdrängen bzw. sie als „einmaligen Ausrutscher“ in meiner Biografie zu begreifen. 2016 kam dann alles noch viel schlimmer. Aufnahme in der kbo in Haar; starke depressiv-suizidale Gradwanderung über Monate; insgesamt 106 Tage Aufenthalt, anschließend 8 Wochen psychosomatische Klinik Windach.

Und jetzt zum Happy End dieser Geschichte: Ich habe das Ganze nicht nur überlebt, sondern mit lebensnotwendigen und gesundheitsfördernden Einsichten durchlebt. Aufgrund verschiedener Menschen und Umstände – allen voran jene Menschen, die von Berufs wegen in der Psychiatrie/Psychosomatik arbeiten und denen ich bei meinem Weg durch die Krise immer wieder begegnet bin – und denen ich viel zu verdanken habe.

Nein, ich spreche nicht von allen und jedem, aber von einigen. Welche Einstellungen, welche Eigenschaften, welche Fähigkeiten, welche Besonderheiten haben diese für mich herausragenden Menschen und was macht sie für mich so wertvoll? Sie waren mir freundliche, zugewandte, wohlwollende, respektvolle, werteorientierte, fürsorgliche, zuhörende, stützende, begleitende, kommunikative, verstehende, am ganzen Menschen interessierte, erklärende, zuverlässige, kompetente, wissende, erfahrene, verständnisvolle, vertrauensvolle, humorvolle, höfliche, wertschätzende, einfühlsame, lächelnde, nicht urteilende, sich für mich Zeit nehmende, mich ernst nehmende, mich achtsam und achtend behandelnde, mich an meine Fähigkeiten und Stärken erinnernde, mich motivierende, an mich glaubende, mir Hoffnung gebende, mir Wege aufzeigende Menschen, die glücklicherweise ihrer Arbeit in der Psychiatrie/ Psychosomatik nachgehen und die mir helfend und begleitend zur Seite standen. Und mir aus meiner Dunkelheit namens „Depression“ herausgeholfen haben.

Soweit über mich und meine Erfahrungen/Entwicklungen – und jetzt konkret zu meinen Erwartungen/Wünschen:

+++Patient*innen in seelischen Krisen brauchen in besonders hohem Maße individuelle und intensive Gesprächsmöglichkeiten. Das Wichtigste vielleicht überhaupt in der Psychiatrie: Gespräche! Vor allem mit den Ärzt*innen/Psychotherapeut*innen/SozialpädagogInnen, aber auch – und das wird vielleicht unterschätzt – mit den Pfleger*innen.

Gerade die Pfeger*innen haben den meisten und direkten Kontakt zu den Patient*innen und sie/also die vielköpfige Pflege bildet einen bunten Querschnitt der Bevölkerung ab.

Mitunter können sich Patient*innen sogar eher Pfleger*innen gegenüber öffnen, Vertrauen fassen, eine Beziehung aufbauen. Aber oft scheint mir die Zeit zu fehlen, weil die Pfleger*innen nicht mehr aus dem Dokumentieren herauskommen – oder mit anderen Diensten beschäftigt sind. Es sollte mehr Zeit für individuelle Gespräche/sowie eher „non-verbale“ Aktivitäten sein. Und um Zeit zu schaffen, sollte z.B. die Art und Weise der Dokumentationspflicht (Stichwort „Dokumentationszwang“) überdacht werden.

+++Patient*innen sollte noch mehr Mitsprache eingeräumt werden, sie sollen Wünsche äußern dürfen – u.a. in Hinblick auf Tagesablauf/ Therapie/Wahl der Ärzt*in, Psycholog*in, Form der Visite/des Verlaufsgesprächs (Stichwort: Anzahl der Personen im Raum/4-Augen-Gespräch);

Patient*innen muss von Anfang an vermittelt werden, dass ihr Feedback, also ihre Wünsche/Ideen/Vorschläge/Verbesserungen/Kritik unbedingt erwünscht ist, sowohl während wie nach der Behandlung.

++Ich wünsche mir einen Feedback-Fragebogen für jede/n Patient*in und 1 Bezugsperson aus Familie/Freunde nach jedem Aufenthalt. Warum? Ich bin der festen Überzeugung, dass alle/oder zumindest die meisten Patient*innen zu Expert*innen ihrer Erkrankung werden und wichtige Erfahrungen/ Erkenntnisse weitergeben können, ebenso deren Partner/Angehörige/Freunde.

+++Ich wünsche mir die Möglichkeit zu einem offen wie beschütztem Umgang mit psychischen Belastungen und Erkrankungen betroffener Mitarbeiter*innen der kbo.

+++Ich wünsche mir, dass Ex-Inler in Supervisionen/Fallbesprechungen/ Fortbildungen insofern miteinbezogen werden, dass sie über ihre eigenen Diagnosen/Krankheitsbilder vor den Profis sprechen können. Grundsätzlich würde ich mir weitere ExIn-Kolleg*innen in Ffb und auch in Haar wünschen. Zudem eine zentrale fachlich-professionelle Begleitung für ExIn seitens der kbo und ein regelmäßiger moderierter Austausch der ExIn-Genesungsbegleiter*innen untereinander, aber auch seitens Klinik-u. Geschäftsleitung, Ärzt*innen/Pflege. Unsere Erfahrungen und unsere Erkenntnisse könnten damit besser nutzbar gemacht werden.

+++Und nicht nur am Rande – Stichwort Wertschätzung: Wir arbeiten bislang als geringfügig Beschäftigte etwa 7 Stunden die Woche auf Minijob-Basis. Ich wünsche mir die Wahlmöglichkeit, auch Teilzeit oder Vollzeit arbeiten zu können und eine andere Eingruppierung jenseits von Hilfskraft Stufe 3.

Die Tätigkeit/Wirksamkeit als Ex-In auf einer psychiatrischen Einheit/Station kann sich nicht nur meiner Meinung nach erst ab einer höheren Stundenzahl voll entfalten.

+++Ich wünsche mir bei der kbo einen Focus auf LGBT = heißt Lesben, Schwule, Transgender (sowohl in Bezug auf die Mitarbeiter*innen wie auch die Patient*innen), bis hin zu einer Gründung eines kbo-Netzwerkes.

+++Ich wünsche mir einen sensibilisierten Umgang mit geschlechtergerechter Sprache bei allem Schriftlichem (Mails, Briefe, Formulare, Broschüren, Handouts) sowie im mündlichen/täglichen Umgang miteinander. Und an alle, die jetzt – wenn auch innerlich – die Augen verdrehen: Das darf ruhig spielerisch von statten gehen und ohne Holzhammer.

Aber mir geht es um ein wachsendes Bewusstsein und um Sensibilisierung im Umgang mit Sprache und Geschlecht.

+++And last but not least: Ich wünsche mir von der kbo, dass die Notwendigkeit einer Gleichstellungsbeauftragten erkannt und Gleichberechtigung und Diversität aktiv umgesetzt wird, indem eine Gleichstellungs/Diversity/Beauftragte eingesetzt wird. Und ich bin nicht der Meinung, dass der/die Behindertenbeauftragte diesen Job gleich mit erledigen kann.

Vielen Dank für Ihr Zuhören und an die Verantwortlichen der kbo, dass ich hier und heute vortragen durfte.

(Marion Hölczl ist Absolventin des 4. Jahrgangs der Ex-In-Ausbildung in München. Sie arbeitet als Ex-In-Genesungsbegleiterin seit 1. Oktober 2018 im kbo Isar-Amper Klinikum Fürstenfeldbruck auf der Einheit Krise und Psychotherapie , wo sie bereits auch ihre 120 Praktikumsstunden geleistet hatte.)

 

 Praktikumsbericht Ex-In von April 2018 im Rahmen der Ausbildung zur EX-IN-Genesungsbegleiterin

4. Jahrgang München / 2017-2018 Wann: November (Praktikum 1 á 40 Stunden) / 2 Tage die Woche á 5 h
Februar/März (Praktikum 2 á 80 Stunden) 2 Tage die Woche á 5 h
Wo: kbo-Isar-Amper-Klinikum gemeinnützige GmbH der Kliniken des Bezirk Oberbayern (kbo) / Standort Fürstenfeldbruck / Einheit Krise und Psychotherapie

Wo absolviere ich mein Praktikum im Rahmen meiner Ausbildung zur Ex-In- Genesungsbegleiterin? Die Antwort stand für mich früh fest. Zwei Mal in meinem Leben war ich bislang in der Psychiatrie: 2014 mit 50 Jahren zum ersten Mal und dann zwei Jahre später zum zweiten Mal. Beide Male hieß es für mich last exit Psychiatrie in Haar; und beide Male derselbe Ort und „über Umwege“ schließlich monatelang dieselbe Station 56/E2 mit fast denselben Personal-Profis. Daher mein Entschluss ein Praktikum an dem Ort zu machen, wo ich in höchster Not war und mir umfassend geholfen wurde. Das erfüllt mich fortwährend mit tiefer Dankbarkeit gegenüber all jenen Personen, die sich so umfassend und intensiv um mich auf dieser Station gekümmert hatten. Sprich: Die mir das Gefühl vermittelt haben, es lohnt sich um jede/n einzelnen zu kämpfen und es lohnt sich, speziell um mich zu kämpfen. Jetzt, wo es mir wieder gut geht und ich mich seelisch stabil fühle, glaube ich zu wissen, was Menschen in akuten seelischen Krisen helfen könnte und wie ich sie begleiten könnte. Nur eines war dann nach langer Überlegung und einigen Gesprächen unter anderem mit meiner Partnerin und meiner Therapeutin sicher: Nur bitte nicht in Haar ein Praktikum! Nicht zurück an den unmittelbaren Ort der Erinnerungen und Ängste. Meine Bedenken konnte ich auch ausgiebig persönlich mit *** besprechen, Psychotherapeutin in Haar und Ansprechpartnerin der kbo-Kliniken für Exinler. Aufgrund ihrer Idee und Initiative konnte ich schließlich als erste Exinlerin ins 2016 eröffneten kbo-Klinikum in Fürstenfeldbruck kommen, zunächst zu einem Erstgespräch Mitte Oktober letzten Jahres mit der Oberärztin *** und der Stationsleitung ***.
Grundsätzlich war für mich bei allen Kontaktaufnahmen und Erstgesprächen immer wieder erfreulich zu erfahren, dass das kbo-Isar-Amper-Klinikum der Tätigkeit und der Bedeutung von Ex-In-Genesungsbegleiter*innen in der Psychiatrie sehr aufgeschlossen und fördernd gegenüberzustehen scheint. Das ist mit Sicherheit personenabhängig und „chefetagen- abhängig“ und derzeit vor allem ein Verdienst der ärztlichen Leitung der kbo Klinik Süd.West

***, die eine leidenschaftliche und engagierte Verfechterin der Ex-In-Idee ist. Insofern fühlte ich mich von Anfang an auch auf der Akuteinheit Krise als Teil der kbo gut aufgenommen und angekommen. Das gesamte – sogenannte „multiprofessionelle“ – Team bestehend aus Oberärztin, Stationsärzt*innen, Pfleger*innen, Psycholog*nnen, Sozialarbeiter*innen, Bewegungs-, Ergo- und Kunsttherapeut*innen nahm mich vom ersten Tag an sehr wertschätzend und kollegial auf und öffnete mir für alle stationären Bereiche sogleich die Türen. Natürlich war ich am ersten Tag nicht nur gespannt und neugierig, sondern auch leicht aufgeregt. Schließlich war es ein Seitenwechsel der besonderen Art für mich. Als ehemals schwerkranke Patientin mit schlimmsten Depressionen und erhöhter Suizidalität kehrte ich jetzt auf eine Akutstation zurück und war mit Menschen konfrontiert, schwererkrankt in tiefster seelischer Krise und mit der eigenen Suizidalität kämpfend. Also in einem Zustand, den ich vor nicht allzu langer Zeit selber erlitten, durchlitten oder anders formuliert – erlebt und überlebt hatte. Da ich aber einen guten Weg beschritten habe und viel für meine eigene seelische Stabilität tue, war meine eigene innere Nervosität schnell abgelegt. Das Team tat sein Übriges: Ich durfte mich in der ersten Teamsitzung vorstellen und die Ex-In-Idee erläutern, worauf sich eine lebhafte Diskussion in Gang setzte und ich bereits einiges an positivem Feedback bekommen habe. Und für eine ähnliche Augenhöhe stand auch das sofortige „Du“ auf allen Ebenen, vom Chefarzt bis zur Exinlerin, also jenseits von Etage und Gehalt. Ebenso durfte ich mich in jeder Morgenrunde bei den Patient*innen vorstellen und von meinem eigenen Werdegang, dem Genesungsprozess und der Ausbildung erzählen. So hatte von der ersten Stunde an das Gefühl, offene Türen einzurennen. Zunächst konnte ich als Beobachterin an allen Abläufen auf Patientenseite wie Morgenrunden, Arztgesprächen, Psychoedukationen, Bewegungs- und Ergotherapien teilnehmen – sowie auf Personalseite an Teamsitzungen, Verlaufsgesprächen, Verlaufsprotokollen und Übergaben und auch Einblicke in die jeweiligen Krankenakten nehmen. Auch hatte ich schnell verschiedenste Gelegenheiten, mit den Patient*innen direkt zu sprechen und/oder mit ihnen spazieren zu gehen.
Was mich dann doch überrascht hat, wie viele junge Menschen in der Psychiatrie landen. Über die Hälfte der Patienten waren unter 35 Jahren, Männer und Frauen ausgewogen, vielleicht etwas mehr Frauen, aus unterschiedlichsten Berufen Arbeiter*innen, Akademiker*innen, Beamt*innen, Auszubildende, Gesell*innen sowie auch einige Asylsuchende aus Afrika.
Was mir gleich am Anfang meines Praktikums klar wurde: Ich wollte mich von der sogenannten „beschützen“ Station, also jenen Patient*innen in Kamera überwachten Zimmern fernhalten, die – meist nur vorübergehend – zum eigenen Schutz tageweise „geschlossen“ in einer Eins-zu-Eins-Betreuung untergebracht waren. Da war mir das Thema Suizid doch zu nah und meine eigene emotionale „Verstrickung“ zu groß. Glücklicherweise musste ich auch nie eine Fixierung miterleben, was mir sicherlich zugesetzt hätte. Die meisten Patient*innen vor Ort kämpften mit Krankheitsbildern wie „Depression“, „Bipolare Störung“, „Borderline“, „Angststörung oder „Zwangsstörung“ oder „posttraumatische Belastungsstörung“. Bei vielen war zu spüren, wie wohltuend es für sie war, wenn es Zeit für ein Gespräch gab, wo nicht auf die Uhr geschielt werden musste. Und zu wissen und zu spüren, dass die andere weiß und fühlt, was Seltsames in einem abgeht, wenn die Psyche verrücktspielt. Und schnell war zu merken: die hohe Bedeutung derselben Augenhöhe zwischen sogenannten Patienten und Profis – gerade in der Psychiatrie ist das so wichtig. Natürlich wäre Augenhöhe, und damit meine ich, einen gegenseitigen respektvollen, wertschätzenden, individuellen, austauschenden Dialog überall wichtig, also in der Gesellschaft generell, aber besonders wichtig ist diese in der Psychiatrie. Denn hier geht es vor allem um Würde und Werte im Umgang mit den Patient*innen.
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dieser Grundsatz muss vor allem in der Psychiatrie gelebt werden. Gerade dort, wo der Mensch so sehr um seine eigene Würde kämpfen muss, da er sich verloren, nicht verstanden, sich ausgeliefert, sich von sich selber entfremdet glaubt. Diese Grundsätze werden in der kbo/Ffb sehr hochgehalten, wo auch nach dem „Weddinger Modell“ gearbeitet wird, ein Reformmodell der Psychiatrie, das gerade die Individualität der Patient*innen berücksichtigt und den Patient*innen mehr Mitspracherechte einräumt.
Meine Rolle als Exinlerin wurde durch Gespräche mit Patient*innen und Profis von Woche zu Woche immer deutlicher und mehr und mehr gefestigt. Beginnend mit dem zweiten Praktikum war ich für einen wöchentlichen Achtsamkeitsspaziergang verantwortlich, habe den Patient*innen die Bedeutung von Achtsamkeit und Meditation näher gebracht und konnte eigenständig mit Patient*innen eine von mir angeregte Musikentspannung durchführen. Das Vertrauen der Patient*innen wuchs durch diese intensiven Begegnungen mit der Zeit, so dass ich auch gebeten wurde, mit zu Arztgesprächen zu kommen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwierig und einschüchternd eine solche „Visite“ sein kann
– und wie sie dann letztlich als nutzlos empfunden wird, weil sich die Patient*innen ungehört und unverstanden fühlen. Das liegt auch daran, dass frau/mann selber nicht nur mit den eigenen Ängsten kämpft, sondern oft auch aufgrund der Erkrankung Schwierigkeiten hat, sich einigermaßen zu konzentrieren, geschweige denn, sich halbwegs verständlich zu artikulieren. Außerdem ist das „Kräfteverhältnis“ im Raum nicht eins zu eins, sondern meistens sitzen den Patient*innen drei bis vier Profis gegenüber. In dieser Situation wurde es von den Patient*innen, die mich hinzugezogen haben, als Erleichterung aufgefasst, einfach „nur“ Verstärkung an der Seite zu haben, also jemanden, der einem Sicherheit gibt, und bei Bedarf mitsprechen kann. Und gegebenenfalls die Arztvisite mit der Patientin/dem Patient vor- und nachbereiten kann. Vier Ohren hören und vier Augen sehen einfach mehr als zwei, das ist bereits im „normalen“ Zustand der Fall.
Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass meine Anwesenheit als „Gleichgesinnte“, also als Person mit eigenen seelischen Krisen, für eine veränderte Atmosphäre auf der Station gesorgt hat. Die Patient*innen, zumindest die, die sich auf mich einlassen konnten, haben in mir eine Art Brücke zu den Profis gesehen. Sprich: Die vermeintliche Front zwischen „Gesunden“ und „Kranken“ war aufgelockert beziehungsweise der Übergang fließend. Denn als „ehemalige“ stationäre Patientin war ich eine von „ihnen“, eine Leidensgefährtin, die aufgrund ihrer Geschichte und ihrer Genesung zu einer Hoffnungsträgerin wurde: So ein bisschen wie das personifizierte „Licht am Horizont“ oder einer der Strohhalme. Insofern denke ich, dass Ex-In gerade auf den Akutstationen großen Sinn macht, auch wenn ich nicht mit Menschen mit Psychosen arbeiten möchte, sondern schwerpunktmäßig mit Menschen mit Depressionen. Darin liegt meine ureigene Erfahrung und mein persönliches Wissen.
Die Wochen auf der Station haben mir auch gezeigt, dass nicht jedeR Exinler*in für die Akutpsychiatrie geschaffen ist. Nur solche mit einer gewissen Stabilität können diesen Job machen, allein, um sich selber vor Abstürzen abzusichern, aber auch um die Patient*innen zu schützen. Es erfordert ein höheres Maß an persönlicher Widerstandskraft, gutem Reflexionsvermögen und besonderer Distanziertheit. Sonst könnte eine ExIn-Tätigkeit zu einem fatalen Katalysator für psychische Rückschläge werden. Denn die Summe an seelischem Leid ist auf einer Akutstation sehr groß. Als besonders belastend habe ich den Aufenthalt eines 16jährigen Autisten erlebt, den ich „nur“ über Monitor im Stationszimmer gesehen habe. Eigentlich ein Patient, der nicht auf die Station gehört hat, weil minderjährig, aber trotzdem vorübergehend aufgenommen werden musste. Da war ich mit dem Anblick
überfordert eines nackten Menschen auf einer kahlen Matratze, der den ganzen Tag entweder vor sich hinkauert oder einfach nur daliegt, wenn er mit sich alleine ist.
Allerdings hatte ich in allen schwierigen oder auch sonstigen Situationen immer in der Stationsleiterin eine Ansprechpartnerin, die mir dann zum Beispiel einen positiveren Einblick in die Lebensgeschichte des Patienten gegeben und mir Autismus näher gebracht hat oder mich von dem „entfernt“ hat, was ich als ungut empfunden und erlebt habe. Überhaupt war der Austausch untereinander, also mit den Kolleg*innen sehr wichtig für mich. Ich konnte jeder/jedem vom Personal Fragen stellen zu ihren/seinen Aufgaben, auch zum Arbeitsethos, und auch ich war wiederum eine gefragte Gesprächspartnerin in Hinblick auf meine eigene Erfahrung mit der Psychiatrie und meine Sicht der Dinge auf den Klinikalltag und was verändert, und damit verbessert werden könnte.
Im abschließenden Gespräch zwischen der Stationsleiterin *** und mir hat sie erklärt, dass sie bereits vor meinem Praktikum an die Idee von Ex-In geglaubt habe, aber sie jetzt doch überrascht davon sei, wie schnell Patientinnen zu mir vertrauen gefasst hätten und wie gut ich auf der Station angekommen und angenommen worden sei. Ihr erklärtes Ziel sei es, für mich eine Stelle auf der Station zu schaffen, vorausgesetzt die Finanzierung für Ex-In sei seitens der kbo gesichert, und sie müsse keine anderen Gelder dafür verwenden. Auch ich halte Ex-In für eine mehr als sinnvolle Ergänzung in der Psychiatrie. Um es prägnant zu formulieren: Die Psychiatrie schreit geradezu nach Ex-In. Natürlich müssen Eckpfeiler bedacht werden wie beispielsweise die Menge an Arbeitsstunden: Wie viele Stunden Minimum muss ein/e Exinler*in in der Woche eingesetzt und auch bezahlt werden, um überhaupt sinnvoll arbeiten zu können? Die gerüchteweise sechs Stunden die Woche scheinen mir zu wenig. Andererseits möchte ich Ex-In auf einer Station auch nicht „fulltime“ machen müssen, da ich dann wiederum sorgenvoll auf meine eigene psychische Belastbarkeit schauen würde. Ebenso frage ich mich, inwieweit die Exinler*innen in den ganzen „Protokollwahnsinn“ eingespannt werden müssen. Ich habe erlebt, wieviel Zeit das Personal mit der „Krankendokumentation“ verbringt – für meinen Geschmack wäre die Zeit besser „an Patient*innen“ verbracht. Deshalb würde ich als Exinlerin nicht in die Dokumentationsfalle stolpern wollen, also überprozentual am PC sitzen, statt mit den Patient*innnen zusammen zu sein und mit ihnen Gespräche führen zu können oder sie einfach nur zu trösten. Außerdem hatte ich das lange genug in meinem vorigen Leben als PR-
Expertin, zu viel PC, zu viel Büro, zu wenig direkten Kontakt und Kommunikation mit Menschen.
Es ist jedenfalls meine Absicht, mich genau auf der Station zu bewerben, wo ich das Praktikum absolviert habe. Weil ich sehe, dass ich helfen kann und mich die Tätigkeit mit Sinn erfüllt. Also ein guter für mich richtiger Weg für meine eigene Recovery.
Anmerkung: Die Autorin/Ex-In-Genesungsbegleiterin arbeitet seit 1.10.2018 auf der Einheit Krise und Psychotherapie in der kbo in Fürstenfeldbruck auf Minijobbasis 2 mal 3 1⁄2 Stunden die Woche.
*** Aus diversen Gründen wurden alle Personen/Namen mit *** anonymisiert.

Was aus Krisen alles werden kann – Meine Erfahrungen mit Ex-In

Ende 2015 kam ich überraschend zu Ex-In und absolvierte 2016 mit Begeisterung den 3. Ex-In Kurs in München. Fast nahtlos fand ich eine Stelle in der Starnberger Arche, einer Tagesstätte für Menschen mit seelischer Erkrankung. Ich wurde äußerst herzlich im Team aufgenommen und kam ab Januar 2017 1-2x wöchentlich in die Tagesstätte, um dort Zeit mit den Besuchern zu verbringen und für sie da zu sein. Ich kochte, spielte, ging mit den Besuchern spazieren, hatte allzeit ein offenes Ohr und ein mitfühlendes Herz. Wir, das Team und die Besucher und ich, mochten uns von Anfang an sehr gerne. Immer wieder bekam ich wertschätzendes Feedback, wurde in den Alltag der Arche miteinbezogen. Während dieser Zeit habe ich auch mein erstes Buch in Eigenregie drucken lassen, welches meine Geschichte der letzten 18 Jahre beschreibt und zudem eine Sammlung aus Texten, Gedichten und Gedanken enthält. Darauf bin ich sehr stolz!

Im Juni 2017 bekam ich dann die Gelegenheit, die Arbeit als Genesungsbegleiterin beim SPDI Starnberg und dessen Klienten vorzustellen. Ich berichtete zusammen mit einer Teilnehmerin des inzwischen 4. Kurses über die Ausbildung und meine Erfahrungen. Der Vortrag fand großen Anklang, so dass es zwei Wochen später sogar nochmals eine Fortsetzung gab.

Im November 2017 hatte ich noch zwei große Auftritte als Ex-In: Mit 2 Kurskollegen habe ich einen Workshop für eine psychiatrische Einrichtung in der Teutoburger Straße in München vorbereitet: „Was wir uns von den Profis wünschen und was Ex-In dazu beitragen kann“. Es war ein lebendiger und sehr interessanter Nachmittag, zu dem über 20 Mitarbeiter / Profis kamen und mit regem Interesse teilgenommen haben. Wir hatten zwischendrin sogar eine Praxisübung „vom Ich zum Du zum Wir Wissen“ eingebaut und das wurde unter emsigem Tun und viel lebhafter Diskussion tatsächlich toll umgesetzt. Die Ergebnisse der Übung „Was verstehen Sie unter guter und gelungener Kommunikation?“ waren mindestens so beeindruckend wie in unseren Kursmodulen. Das Ganze ist halt doch mehr als die Summe seiner Teile!

Zwei Wochen nach der Teutoburger Straße konnte ich dann noch in der Universität der Bundeswehr eine ganze Vorlesung über meine persönliche Krankheitsgeschichte und den Weg daraus halten. Ich habe noch nie zuvor vor Studenten gestanden. Mein schön ausgearbeitetes Konzept fiel bei meinem Mann im Probelauf am Abend zuvor nach 10 Min komplett durch. So stellte ich mich vor die 30 Psychologiestudenten und sagte „Liebe Studenten, ich habe noch nie eine Vorlesung gehalten und mein Konzept ist bei meinem Mann durchgefallen. So spreche ich jetzt einfach frei“ Und das tat ich dann auch. Habe 1 1⁄2 Stunden über die Erkrankung gesprochen, Passagen aus meinem Buch vorgelesen oder Fragen beantwortet. Das Interesse der Studenten war bemerkenswert und es wurden viele sehr konstruktive Fragen gestellt, die in direktem Zusammenhang mit dem Gesagten standen. Das hat mich sehr gefreut.

Ich habe in den letzten fast 2 1⁄2 Jahren durch Ex-In sehr viel dazugelernt und kann den Kurs nur weiterempfehlen. Es gibt viele Felder, wo Ex-In gebraucht wird. Und manchmal bringt einen der sprichwörtliche Zufall an Plätze, die man noch nie zuvor besucht hat. So habe ich nie für möglich gehalten, was alles daraus werden wuüde, als ich im September 2015 in der Infoveranstaltung in der Inneren Mission saß. Ex-In hat meinem Leben ganz unverhofft eine ganz neue Ausrichtung gegeben und dafür bin ich sehr dankbar, auch wenn ich jetzt erst einmal eine Pause einlege: Trotz allen kleinen und großen Erfolgen als Ex-Inlerin habe ich Ende 2017 den Vertrag mit der Tagesstätte auslaufen lassen und nicht verlängert. Für mich steht jetzt erst einmal eine Auszeit mit innerer Neusortierung an, für die ich einen freien Kopf möchte.

V.

Februar 2018

Erfahrungsberichte auf Veranstaltung für Arbeitgeber und Prakikumsanbieter, 5. Februar 2015, München

Veranstaltung für Arbeitgeber und Praktikumsanbieter Februar 2015

Erfahrungsberichte aus dem klinischen Bereich, Veranstaltung „EX-INlerInnen auf Station“ Juli 2013

Begrüßung_Ute-Wilhelmi-Bezirk-Obb_2013-07-19 | Vortrag-A.Lacroix-München-19.07.2013 | EX-IN-auf-Station-Vortrag-Dr.-Karolina-de-Valerio

Erfahrungsberichte auf 2. Arbeitgeberveranstaltung 2013

Auswertung der ersten Praktika 2013

1. Veranstaltung für Arbeitgeber und Praktikumsanbieter 2012

Begrüssung der TAG | SpDis der IMM EX-IN Planung | EX-IN-AG Veranstaltung Awolysis | SpDis-der-IMM-EX-IN Planung | Susanne Stier Veranstaltung der TAG für potentielle EX-IN Arbeitgeber 2012 | Praktikumsrichtlinien_EX-IN_NRW | Vorüberlegungen zum Praktikumseinsatz EBE | Praktikumsrichtlinien_EX-IN NRW | Standards EX-IN EBE

Artikel

EX-IN-in-der-Bayerische-Staatszeitung-25-9-2015 | Genesungsbegleiter in der Psychiatrie: Wissen, wie sich Depression anfühlt – Notizbuch – Gesellschaft – Bayern 2 – Radio – BR.de | Seelenverwandtschaft – DIE WELT | EX_IN_Berichte_Bezirksblatt_Nov2014 |
Ärztezeitung Jan 2014 | Wie „Experten aus Erfahrung“ neue Wege begehen: Genesungsbegleiter: Neue Hilfe für Psychiatrie-Patienten – Nordkurier.de | PSU_11-4_Artikel