4. Jahrgang München / 2017-2018 Wann: November (Praktikum 1 á 40 Stunden) / 2 Tage die Woche á 5 h
Februar/März (Praktikum 2 á 80 Stunden) 2 Tage die Woche á 5 h
Wo: kbo-Isar-Amper-Klinikum gemeinnützige GmbH der Kliniken des Bezirk Oberbayern (kbo) / Standort Fürstenfeldbruck / Einheit Krise und Psychotherapie
Wo absolviere ich mein Praktikum im Rahmen meiner Ausbildung zur Ex-In- Genesungsbegleiterin? Die Antwort stand für mich früh fest. Zwei Mal in meinem Leben war ich bislang in der Psychiatrie: 2014 mit 50 Jahren zum ersten Mal und dann zwei Jahre später zum zweiten Mal. Beide Male hieß es für mich last exit Psychiatrie in Haar; und beide Male derselbe Ort und „über Umwege“ schließlich monatelang dieselbe Station 56/E2 mit fast denselben Personal-Profis. Daher mein Entschluss ein Praktikum an dem Ort zu machen, wo ich in höchster Not war und mir umfassend geholfen wurde. Das erfüllt mich fortwährend mit tiefer Dankbarkeit gegenüber all jenen Personen, die sich so umfassend und intensiv um mich auf dieser Station gekümmert hatten. Sprich: Die mir das Gefühl vermittelt haben, es lohnt sich um jede/n einzelnen zu kämpfen und es lohnt sich, speziell um mich zu kämpfen. Jetzt, wo es mir wieder gut geht und ich mich seelisch stabil fühle, glaube ich zu wissen, was Menschen in akuten seelischen Krisen helfen könnte und wie ich sie begleiten könnte. Nur eines war dann nach langer Überlegung und einigen Gesprächen unter anderem mit meiner Partnerin und meiner Therapeutin sicher: Nur bitte nicht in Haar ein Praktikum! Nicht zurück an den unmittelbaren Ort der Erinnerungen und Ängste. Meine Bedenken konnte ich auch ausgiebig persönlich mit *** besprechen, Psychotherapeutin in Haar und Ansprechpartnerin der kbo-Kliniken für Exinler. Aufgrund ihrer Idee und Initiative konnte ich schließlich als erste Exinlerin ins 2016 eröffneten kbo-Klinikum in Fürstenfeldbruck kommen, zunächst zu einem Erstgespräch Mitte Oktober letzten Jahres mit der Oberärztin *** und der Stationsleitung ***.Grundsätzlich war für mich bei allen Kontaktaufnahmen und Erstgesprächen immer wieder erfreulich zu erfahren, dass das kbo-Isar-Amper-Klinikum der Tätigkeit und der Bedeutung von Ex-In-Genesungsbegleiter*innen in der Psychiatrie sehr aufgeschlossen und fördernd gegenüberzustehen scheint. Das ist mit Sicherheit personenabhängig und „chefetagen- abhängig“ und derzeit vor allem ein Verdienst der ärztlichen Leitung der kbo Klinik Süd.West
***, die eine leidenschaftliche und engagierte Verfechterin der Ex-In-Idee ist. Insofern fühlte ich mich von Anfang an auch auf der Akuteinheit Krise als Teil der kbo gut aufgenommen und angekommen. Das gesamte – sogenannte „multiprofessionelle“ – Team bestehend aus Oberärztin, Stationsärzt*innen, Pfleger*innen, Psycholog*nnen, Sozialarbeiter*innen, Bewegungs-, Ergo- und Kunsttherapeut*innen nahm mich vom ersten Tag an sehr wertschätzend und kollegial auf und öffnete mir für alle stationären Bereiche sogleich die Türen. Natürlich war ich am ersten Tag nicht nur gespannt und neugierig, sondern auch leicht aufgeregt. Schließlich war es ein Seitenwechsel der besonderen Art für mich. Als ehemals schwerkranke Patientin mit schlimmsten Depressionen und erhöhter Suizidalität kehrte ich jetzt auf eine Akutstation zurück und war mit Menschen konfrontiert, schwererkrankt in tiefster seelischer Krise und mit der eigenen Suizidalität kämpfend. Also in einem Zustand, den ich vor nicht allzu langer Zeit selber erlitten, durchlitten oder anders formuliert – erlebt und überlebt hatte. Da ich aber einen guten Weg beschritten habe und viel für meine eigene seelische Stabilität tue, war meine eigene innere Nervosität schnell abgelegt. Das Team tat sein Übriges: Ich durfte mich in der ersten Teamsitzung vorstellen und die Ex-In-Idee erläutern, worauf sich eine lebhafte Diskussion in Gang setzte und ich bereits einiges an positivem Feedback bekommen habe. Und für eine ähnliche Augenhöhe stand auch das sofortige „Du“ auf allen Ebenen, vom Chefarzt bis zur Exinlerin, also jenseits von Etage und Gehalt. Ebenso durfte ich mich in jeder Morgenrunde bei den Patient*innen vorstellen und von meinem eigenen Werdegang, dem Genesungsprozess und der Ausbildung erzählen. So hatte von der ersten Stunde an das Gefühl, offene Türen einzurennen. Zunächst konnte ich als Beobachterin an allen Abläufen auf Patientenseite wie Morgenrunden, Arztgesprächen, Psychoedukationen, Bewegungs- und Ergotherapien teilnehmen – sowie auf Personalseite an Teamsitzungen, Verlaufsgesprächen, Verlaufsprotokollen und Übergaben und auch Einblicke in die jeweiligen Krankenakten nehmen. Auch hatte ich schnell verschiedenste Gelegenheiten, mit den Patient*innen direkt zu sprechen und/oder mit ihnen spazieren zu gehen.
Was mich dann doch überrascht hat, wie viele junge Menschen in der Psychiatrie landen. Über die Hälfte der Patienten waren unter 35 Jahren, Männer und Frauen ausgewogen, vielleicht etwas mehr Frauen, aus unterschiedlichsten Berufen Arbeiter*innen, Akademiker*innen, Beamt*innen, Auszubildende, Gesell*innen sowie auch einige Asylsuchende aus Afrika.
Was mir gleich am Anfang meines Praktikums klar wurde: Ich wollte mich von der sogenannten „beschützen“ Station, also jenen Patient*innen in Kamera überwachten Zimmern fernhalten, die – meist nur vorübergehend – zum eigenen Schutz tageweise „geschlossen“ in einer Eins-zu-Eins-Betreuung untergebracht waren. Da war mir das Thema Suizid doch zu nah und meine eigene emotionale „Verstrickung“ zu groß. Glücklicherweise musste ich auch nie eine Fixierung miterleben, was mir sicherlich zugesetzt hätte. Die meisten Patient*innen vor Ort kämpften mit Krankheitsbildern wie „Depression“, „Bipolare Störung“, „Borderline“, „Angststörung oder „Zwangsstörung“ oder „posttraumatische Belastungsstörung“. Bei vielen war zu spüren, wie wohltuend es für sie war, wenn es Zeit für ein Gespräch gab, wo nicht auf die Uhr geschielt werden musste. Und zu wissen und zu spüren, dass die andere weiß und fühlt, was Seltsames in einem abgeht, wenn die Psyche verrücktspielt. Und schnell war zu merken: die hohe Bedeutung derselben Augenhöhe zwischen sogenannten Patienten und Profis – gerade in der Psychiatrie ist das so wichtig. Natürlich wäre Augenhöhe, und damit meine ich, einen gegenseitigen respektvollen, wertschätzenden, individuellen, austauschenden Dialog überall wichtig, also in der Gesellschaft generell, aber besonders wichtig ist diese in der Psychiatrie. Denn hier geht es vor allem um Würde und Werte im Umgang mit den Patient*innen.
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dieser Grundsatz muss vor allem in der Psychiatrie gelebt werden. Gerade dort, wo der Mensch so sehr um seine eigene Würde kämpfen muss, da er sich verloren, nicht verstanden, sich ausgeliefert, sich von sich selber entfremdet glaubt. Diese Grundsätze werden in der kbo/Ffb sehr hochgehalten, wo auch nach dem „Weddinger Modell“ gearbeitet wird, ein Reformmodell der Psychiatrie, das gerade die Individualität der Patient*innen berücksichtigt und den Patient*innen mehr Mitspracherechte einräumt.Meine Rolle als Exinlerin wurde durch Gespräche mit Patient*innen und Profis von Woche zu Woche immer deutlicher und mehr und mehr gefestigt. Beginnend mit dem zweiten Praktikum war ich für einen wöchentlichen Achtsamkeitsspaziergang verantwortlich, habe den Patient*innen die Bedeutung von Achtsamkeit und Meditation näher gebracht und konnte eigenständig mit Patient*innen eine von mir angeregte Musikentspannung durchführen. Das Vertrauen der Patient*innen wuchs durch diese intensiven Begegnungen mit der Zeit, so dass ich auch gebeten wurde, mit zu Arztgesprächen zu kommen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwierig und einschüchternd eine solche „Visite“ sein kann
– und wie sie dann letztlich als nutzlos empfunden wird, weil sich die Patient*innen ungehört und unverstanden fühlen. Das liegt auch daran, dass frau/mann selber nicht nur mit den eigenen Ängsten kämpft, sondern oft auch aufgrund der Erkrankung Schwierigkeiten hat, sich einigermaßen zu konzentrieren, geschweige denn, sich halbwegs verständlich zu artikulieren. Außerdem ist das „Kräfteverhältnis“ im Raum nicht eins zu eins, sondern meistens sitzen den Patient*innen drei bis vier Profis gegenüber. In dieser Situation wurde es von den Patient*innen, die mich hinzugezogen haben, als Erleichterung aufgefasst, einfach „nur“ Verstärkung an der Seite zu haben, also jemanden, der einem Sicherheit gibt, und bei Bedarf mitsprechen kann. Und gegebenenfalls die Arztvisite mit der Patientin/dem Patient vor- und nachbereiten kann. Vier Ohren hören und vier Augen sehen einfach mehr als zwei, das ist bereits im „normalen“ Zustand der Fall.Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass meine Anwesenheit als „Gleichgesinnte“, also als Person mit eigenen seelischen Krisen, für eine veränderte Atmosphäre auf der Station gesorgt hat. Die Patient*innen, zumindest die, die sich auf mich einlassen konnten, haben in mir eine Art Brücke zu den Profis gesehen. Sprich: Die vermeintliche Front zwischen „Gesunden“ und „Kranken“ war aufgelockert beziehungsweise der Übergang fließend. Denn als „ehemalige“ stationäre Patientin war ich eine von „ihnen“, eine Leidensgefährtin, die aufgrund ihrer Geschichte und ihrer Genesung zu einer Hoffnungsträgerin wurde: So ein bisschen wie das personifizierte „Licht am Horizont“ oder einer der Strohhalme. Insofern denke ich, dass Ex-In gerade auf den Akutstationen großen Sinn macht, auch wenn ich nicht mit Menschen mit Psychosen arbeiten möchte, sondern schwerpunktmäßig mit Menschen mit Depressionen. Darin liegt meine ureigene Erfahrung und mein persönliches Wissen.Die Wochen auf der Station haben mir auch gezeigt, dass nicht jedeR Exinler*in für die Akutpsychiatrie geschaffen ist. Nur solche mit einer gewissen Stabilität können diesen Job machen, allein, um sich selber vor Abstürzen abzusichern, aber auch um die Patient*innen zu schützen. Es erfordert ein höheres Maß an persönlicher Widerstandskraft, gutem Reflexionsvermögen und besonderer Distanziertheit. Sonst könnte eine ExIn-Tätigkeit zu einem fatalen Katalysator für psychische Rückschläge werden. Denn die Summe an seelischem Leid ist auf einer Akutstation sehr groß. Als besonders belastend habe ich den Aufenthalt eines 16jährigen Autisten erlebt, den ich „nur“ über Monitor im Stationszimmer gesehen habe. Eigentlich ein Patient, der nicht auf die Station gehört hat, weil minderjährig, aber trotzdem vorübergehend aufgenommen werden musste. Da war ich mit dem Anblick
überfordert eines nackten Menschen auf einer kahlen Matratze, der den ganzen Tag entweder vor sich hinkauert oder einfach nur daliegt, wenn er mit sich alleine ist.Allerdings hatte ich in allen schwierigen oder auch sonstigen Situationen immer in der Stationsleiterin eine Ansprechpartnerin, die mir dann zum Beispiel einen positiveren Einblick in die Lebensgeschichte des Patienten gegeben und mir Autismus näher gebracht hat oder mich von dem „entfernt“ hat, was ich als ungut empfunden und erlebt habe. Überhaupt war der Austausch untereinander, also mit den Kolleg*innen sehr wichtig für mich. Ich konnte jeder/jedem vom Personal Fragen stellen zu ihren/seinen Aufgaben, auch zum Arbeitsethos, und auch ich war wiederum eine gefragte Gesprächspartnerin in Hinblick auf meine eigene Erfahrung mit der Psychiatrie und meine Sicht der Dinge auf den Klinikalltag und was verändert, und damit verbessert werden könnte.
Im abschließenden Gespräch zwischen der Stationsleiterin *** und mir hat sie erklärt, dass sie bereits vor meinem Praktikum an die Idee von Ex-In geglaubt habe, aber sie jetzt doch überrascht davon sei, wie schnell Patientinnen zu mir vertrauen gefasst hätten und wie gut ich auf der Station angekommen und angenommen worden sei. Ihr erklärtes Ziel sei es, für mich eine Stelle auf der Station zu schaffen, vorausgesetzt die Finanzierung für Ex-In sei seitens der kbo gesichert, und sie müsse keine anderen Gelder dafür verwenden. Auch ich halte Ex-In für eine mehr als sinnvolle Ergänzung in der Psychiatrie. Um es prägnant zu formulieren: Die Psychiatrie schreit geradezu nach Ex-In. Natürlich müssen Eckpfeiler bedacht werden wie beispielsweise die Menge an Arbeitsstunden: Wie viele Stunden Minimum muss ein/e Exinler*in in der Woche eingesetzt und auch bezahlt werden, um überhaupt sinnvoll arbeiten zu können? Die gerüchteweise sechs Stunden die Woche scheinen mir zu wenig. Andererseits möchte ich Ex-In auf einer Station auch nicht „fulltime“ machen müssen, da ich dann wiederum sorgenvoll auf meine eigene psychische Belastbarkeit schauen würde. Ebenso frage ich mich, inwieweit die Exinler*innen in den ganzen „Protokollwahnsinn“ eingespannt werden müssen. Ich habe erlebt, wieviel Zeit das Personal mit der „Krankendokumentation“ verbringt – für meinen Geschmack wäre die Zeit besser „an Patient*innen“ verbracht. Deshalb würde ich als Exinlerin nicht in die Dokumentationsfalle stolpern wollen, also überprozentual am PC sitzen, statt mit den Patient*innnen zusammen zu sein und mit ihnen Gespräche führen zu können oder sie einfach nur zu trösten. Außerdem hatte ich das lange genug in meinem vorigen Leben als PR-
Expertin, zu viel PC, zu viel Büro, zu wenig direkten Kontakt und Kommunikation mit Menschen.Es ist jedenfalls meine Absicht, mich genau auf der Station zu bewerben, wo ich das Praktikum absolviert habe. Weil ich sehe, dass ich helfen kann und mich die Tätigkeit mit Sinn erfüllt. Also ein guter für mich richtiger Weg für meine eigene Recovery.
Anmerkung: Die Autorin/Ex-In-Genesungsbegleiterin arbeitet seit 1.10.2018 auf der Einheit Krise und Psychotherapie in der kbo in Fürstenfeldbruck auf Minijobbasis 2 mal 3 1⁄2 Stunden die Woche.
*** Aus diversen Gründen wurden alle Personen/Namen mit *** anonymisiert.